Was ist freier Glaube?

Lange hat man geglaubt, dass die Sonne um die Erde kreist. Anders konnte sich die mittelalterliche Kirche die Lage im All gar nicht vorstellen. Selbstverständlich galt der Mensch als Mittelpunkt von Gottes Wirken und deshalb auch die Erde, auf der wir nun einmal leben. Dann wurde im Jahr 1564 Galileo Galilei geboren.

Was danach geschah, erfahren sie gleich. Bleiben Sie dran…

INTRO

Galilei, der grosse italienische Renaissancedenker wagte zu behaupten, dass alles ganz anders ist. Nicht die Erde, sondern die Sonne müsse im Mittelpunkt unseres Planetensystems stehen. Das sei ganz klar. Und natürlich hatte er Recht. Aber es wurde ihm nicht zugestanden - jedenfalls nicht durch die Kirche. Und so dauerte es, bis das geozentrische Weltbild endlich durch das heliozentrische abgelöst wurde. Im Apparat der katholischen Kirche dauerte es sogar sehr lange.
Zunächst wurden Galileo und seine Lehre verurteilt, er wurde unter Hausarrest gestellt und sollte drei Jahre lang jede Woche sieben Busspsalmen beten. Erst 1992 - das war 350 Jahre nach seinem Tod - wurde er durch die katholische Kirche vollständig rehabilitiert und mit seinen Leistungen öffentlich gewürdigt.
Gewiss, das ist ein besonders tragisches Beispiel dafür, dass für dogmatisch verkrustete Religionen nicht wahr sein kann, was nicht wahr sein darf.

Das Schicksal Galileos zeigt uns aber, was schief laufen kann, wenn sich dogmatische Enge in der Religion breit macht. Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich gab und gibt es so etwas auch auf protestantischer Seite und auch in allen anderen Glaubensrichtungen.

Nun ist man heute vielleicht geneigt zu sagen, dass die Welt mittlerweile eine andere ist. Wen interessiert es schon, ob irgendeine Glaubensrichtung dies oder das behauptet. Ich meine allerdings, dass man sich über die Kraft von Religionen nicht täuschen sollte. Sie prägen das Gewissen von Menschen, sie geben Weltanschauungen weiter, sie bewegen Menschen. Im Guten wie im Schlechten.

Das ist in allen grossen Weltreligionen so: Im Buddhismus, im Islam, im Christentum.

Der christliche Glaube hat im Lauf seiner Zeit aus sich selbst ein befreiendes Gegenprogramm gegen alle Weltfremdheit und gegen alle Verkrustung geboren, das wir heute liberales Christentum nennen. Dieses Gegenprogramm hat seine Wurzeln in der Reformation, vermutlich auch in Reformbewegungen, die es in der katholischen Kirche schon vor der Reformation gab.

Lassen Sie mich einmal ein paar Merkmale dieser Bewegung aufzählen:

1. Das liberale Christentum ist ständig in Bewegung und im Austausch mit der Welt. Und das bedeutet deshalb auch: Es lässt sich selbst auch durch die Welt prägen. Wenn die Wissenschaft heute zum Beispiel herausfindet, dass der menschliche Geist aufs engste mit den materiellen Gegebenheiten im Gehirn verbunden ist, dann wird ein liberaler Christ sich dieser Einsicht vermutlich nicht verweigern. Er wird also nicht behaupten, Geist sei in jedem Fall vom Himmel gefallen und deshalb völlig unabhängig von der Materie des Gehirns. Sondern er wird versuchen, die Einsichten der Wissenschaft mit seinem Glauben zu vereinigen.
2. Das liberale Christentum verlässt sich auf seine Erfahrungen mit Gott. Ein liberal Glaubender lässt sich vermutlich nicht durch die Kirche vorschreiben, was er zu glauben hat. Sondern es ist umgekehrt so, dass die Kirche versuchen sollte, das nachzuvollziehen, was Menschen tatsächlich erfahren, wenn sie Gott begegnen. Wie immer diese Begegnung im Einzelnen aussieht.
3. Zugleich wissen liberale Christen wohl darum, dass sie selbst, dass ihr ganzes Denken und Fühlen und dass auch ihr Glaube Teil einer Tradition sind. Sie fühlen sich dem Christentum und seiner Geschichte verpflichtet, die ihre Wurzeln bei Jesus Christus hat.
4. Es ist also immer ein Wechselspiel zwischen Tradition und Freiheit des Einzelnen, in dem der liberale Glaube steht.

In Zürich hat das liberale Christentum einen starken Ableger. Seit 150 Jahren gibt es den Zürcherischen Verein für freies Christentum.

Dieser Verein hat den christlichen Glauben immer offen mit der Welt ins Gespräch gebracht. Und er hat einiges bewirkt: Die evangelischen Schulen in Zürich oder das heutige Careum gehen auf ihn zurück. Vor allem aber hat er eine liberale Haltung innerhalb der Kirche gefördert, so auch durch die liberale Fraktion der reformierten Synode, die ihre Wurzeln im Verein hat.

Aus Anlass des Jubiläums gibt es am 13. November, am Samstag dieser Woche also, eine hochkarätig besetzte Tagung in Erlenbach, die der Frage nachgeht, was liberales Christentum heute ist und was es heute bewirken kann.
Sie sind herzlich eingeladen! Nähere Informationen dazu finden Sie auf den Webseiten der reformierten Kirchgemeinden Erlenbach, Herrliberg und Küsnacht unter dem Stichwort “Werte&Trends”.

Von Samuel Scheidt gibt es eine gross angelegte Partita, die den Titel Passamezzo trägt. Christian Meldau spielt uns jetzt gleich einige Variationen daraus. Und falls das bei Ihnen die Lust auf mehr weckt, kommen Sie doch nächste Woche wieder zu rallentando. Da gibt es dann nämlich bedeutend mehr von Scheidt zu hören. Eingespielt von Christian Meldau in einem rallentando Musik.