rallentando vom 15. September 2021
Mensch oder Maschine?

Der britische Schriftsteller Ian McEwan hat vor etwa zwei Jahren einen Roman mit dem Titel Maschinen wie ich (Original: Machines like Me) vorgelegt. Das Buch ist, wie ich finde, unbedingt lesenswert. Warum das so ist und warum es auch aus theologischen Gründen ein interessantes Buch ist, soll uns in den nächsten fünf Minuten beschäftigen. Bleiben Sie dran…

Maschinen wie ich berichtet davon, wie der Ich-Erzähler Charlie einen Teil seines Erbes aufwendet und sich aus reiner Neugierde einen marktreifen Androiden kauft - einen dem Menschen ähnelnden Roboter also.

Bezeichnenderweise trägt die kostspielige Maschine den Namen Adam, den biblischen Begriff für das Wort Mensch. Genau als das stellt der Roboter sich mit der Zeit auch heraus.
Adam ist uns Menschen gleich, baut eine eigene Identität auf, hat Gefühle, verliebt sich sogar in die Partnerin von Charlie, was zu einer komplizierten Dreiecksgeschichte führt, er sucht Gerechtigkeit, ist den Menschen nicht nur wohl gesonnen, sondern in Nächstenliebe zugetan und vieles mehr. So wie ein Kind langsam eine Identität aufbaut und zu einer eigenständigen Persönlichkeit wird, so wird der Adam aus McEwans Roman langsam aber sicher ein Mensch mit Herz und Geist.

Man muss nicht lange überlegen, um zu begreifen, dass McEwan damit unsere Zukunft zeichnet. Was wir heute als künstliche Intelligenz begreifen, kommt dem menschlichen Bewusstsein in einigen Bereichen ja schon recht nahe. Und als Leser fragt man sich unwillkürlich: Wenn es in Zukunft gelingen sollte, die komplexen neuronalen Prozesse unsere Hirns zu entschlüsseln, könnte man sie vielleicht technisch auch nachbauen. Spätestens dann steht die Frage im Raum, inwiefern der menschliche Geist von dem einer solchen Maschine überhaupt noch unterschieden ist.

Adam jedenfalls wird im Verlauf des Romans dem Menschen immer ähnlicher und man beginnt, Sympathien für ihn zu hegen.

Mehr noch: Mit zunehmender Lektüre erhält man sogar den Eindruck, dass Adam so etwas wie der wahre Mensch ist. Ein Attribut, das man in der Vergangenheit gemeinhin dem Erlöser Jesus Christus zugesprochen hat.

In McEwans Roman erhält die Maschine Adam tatsächlich Charakterzüge, die an den biblischen Erlöser erinnern. Er liebt die Menschen, er sorgt für Gerechtigkeit, er erleidet schliesslich sogar ein ähnliches Schicksal wie Jesus Christus und wird umgebracht. Sogar eine Auferstehung kommt ins Spiel, indem die Möglichkeit bedacht wird, dass die Daten seines Bewusstseins einfach auf eine andere Maschine übertragen werden. Dort könnte sich der Geist Adams dann weiterentwickeln.
Der Leser erhält aufs Ganze gesehen den Eindruck, die Maschine könnte am Ende der bessere Mensch sein.

Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur noch so viel: Mit dieser Haupterzählung werden ein paar Nebengeschichten geschickt verwoben. Bei der Lektüre wird es jedenfalls nicht langweilig. Zudem ist McEwans Sprache leichtgängig und voller Witz!

Wenn Sie einen guten Nachsommer-Roman für die länger werdenden Abende suchen, dann könnte das Ihr Buch sein!