rallentando vom 18. August 2021
Vom Sinn des Lebens

Wenn Sie wissen wollen, was der Sinn des Lebens ist, dann könnten die nächsten fünf Minuten auf rallentando etwas für Sie sein. Bleiben Sie dran!

Was ist der Sinn des Lebens? Es handelt sich um eine der ältesten Fragen der Welt. Und dass wir sie heute immer noch stellen, zeigt, dass wir sie bis wohl noch immer nicht abschliessend beantwortet haben.
In der Antike schon gibt es einen Antwortversuch, der vielen von uns wohl auch noch einleuchtet. Der Sinn des Lebens besteht darin glücklich zu sein.

Wenn man allerdings genau überlegt, scheint hier nur ein Begriff durch einen anderen ausgetauscht zu sein. Denn nun wäre zu beantworten, wie man glücklich wird.

Ich will einmal einen Versuch zur Beantwortung der Fragen unternehmen, indem ich Sie auf die grundsätzliche Freiheit aufmerksam mache, durch die sich unser Leben auszeichnet. So sind wir geschaffen: als Freie!
Und deshalb sind wir ständig dazu aufgerufen, Entscheidungen zu fällen: Dazu, wie wir uns in der Schule verhalten, welchen Beruf wir erlernen wollen, ob wir ein Studium anstreben, ob wir uns in der Politik oder in einem Verein engagieren wollen, mit welcher Partnerin oder welchem Partner wir durchs Leben gehen wollen. Und natürlich gibt es auch kleinere, weniger bedeutende Entscheidungen, die wir ständig treffen müssen: Ob wir beim Mittagsmenue lieber den Salat oder die Spaghetti wählen (oder beides). Ob wir bei der Erziehung unserer Kinder heute streng sein sollten, wenn sie wieder einmal länger am Bildschirm hocken als es gut ist. Oder sollen wir heute ein Auge zudrücken?

Nun ist es so, dass wir viele dieser Entscheidungen gar nicht selbst fällen oder zumindest nur zum Teil selbst fällen. Es gibt - lassen Sie es mich einmal so sagen - so etwas wie eine Macht der Herde über uns. Wir fällen viele Entscheide so, wie es die Gruppe will, wie unsere soziale Herkunft es uns vorgibt oder auch so, wie man es eben macht.

Ich vermute, dass immer dann, wenn wir einfach so funktionieren, wie die Vorgaben der Herde es wollen, wir am Ende des Tages das Gefühl haben, das Leben sei sinnlos und leer. Wir kommen dann zum Beispiel nach einem langen Arbeitstag nach Hause und fragen uns, was das Ganze soll. Diese Frage steigt deshalb in uns auf, weil wir das Gefühl haben, nichts sinnvolles gemacht zu haben. Wir haben einfach nur die Vorgaben im Hamsterrad abgearbeitet.
Und das bedeutet im Umkehrschluss: Immer dann, wenn wir das Gefühl haben, die wichtigen Entscheide des Tages und des Lebens selbst gefällt zu haben und das verfolgen zu können, was wir selbst wollen, haben wir zugleich auch das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Etwas, das uns mit Glück erfüllt auch.

Glück und Sinn ergibt sich also immer dann, wenn wir meinen, das wählen und tun zu können, was wir selbst wollen. Und wenn wir die Dinge, die wir verfolgen, auch erreichen können.

Das ist, so glaube ich, schon alles!

Nun muss ich aber zwei kleine Nachbemerkungen machen:

Die erste Nachbemerkung betrifft noch einmal die Macht der Herde. Es kann sein, dass jemand sich ganz und gar nach den Vorgaben der Herde richtet und dennoch glücklich ist und ein sinnerfülltes Leben führt. Nehmen wir eine Jugendliche als Beispiel, die das Schuhgeschäft ihres Vaters übernehmen soll und deshalb eine Lehre als Schuhverkäuferin beginnt. Sie heisst Linda.

Linda kommt ganz offenbar durch familiäre Vorgaben zu ihrem Beruf. Hat sie sich dennoch selbst entschieden? Ja, das könnte sein. Vermutlich geht aber zugleich auch vieles an dem Entscheid auf familiäre Verhältnisse zurück. So ist es vermutlich mit den meisten unserer Entscheide. Es ist nicht immer ganz genau zu entschlüsseln, ob eine Entscheidung selbst gefällt worden ist oder durch die Vorgaben der Herde - um dieses Stichwort noch einmal aufzunehmen - herbeigeführt wurde. Ganz genau kann man das wohl nie sagen, vielleicht ist es auch gar nicht so wichtig.

Von Bedeutung ist vielmehr, ob Linda den Entscheid für ihre Ausbildung so begreifen kann, als hätte sie ihn ganz und gar aus freien Stücken herbeigeführt. Sie muss mit anderen Worten ganz und gar bejahen können was sie tut. Ohne Reue und so, dass es genau das ist, was sie selbst wählen würde, wenn ihr Entscheid ohne elterlichen Einfluss gefällt worden wäre. Wenn das der Fall ist, so wird sie das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun.

Das ist die eine Nachbemerkung. Nun noch die andere: Linda hat sich entschieden. Das ist ganz wichtig. Es gibt ja Menschen, die sich so schwer mit einer Entscheidung tun, dass sie selbst kaum dazu kommen, sie zu fällen. Man bleibt dann immer im Vagen, immer im Ungefähren, immer ein wenig abseits des Lebens vielleicht auch. Das eigene Leben bleibt dann gewissermassen ungelebt.

Es klingt ein wenig wie ein Paradox. Aber wirklich frei und glücklich wird man erst dadurch, dass man eine Entscheidung fällt und sich an einen bestimmten Lebensentwurf bindet. So wie Linda es getan hat. Man verliert dadurch vielleicht andere Möglichkeiten, aber gewinnt ein sinnvolles Leben.